«Die Anlagen sind absolut sicher»

    Kernenergie der Zukunft 

    Nico van Zijl ist Spezialist für Kernenergie. Er plädiert für eine neue Form der privaten Finanzierung der bestehenden Anlagen. Und für neue Kleinkraftwerke in den Städten. 

    (Bild: pixabay) «Die ideologische Umstellung von Kernkraft auf Wind und Sonne ist ernsthaft in Frage zu stellen.»

    Herr van Zijl, Sie haben sich Ihr ganzes Berufsleben lang in führenden Positionen mit Energiefragen beschäftigt. Das Thema «Stromversorgung» steht heute zuoberst auf der politischen Agenda, die Behörden warnen in dramatischen Tönen vor einem drohenden Strom-Mangel. Wie schätzen Sie die Lage ein? Die Lage ist tatsächlich dramatisch, weil das Kartenhaus der Stromversorgung mit den weitgehend ideologischen Vorstellungen über die Frage, was gemacht werden soll, dem Praxistest der Realität nicht standhält. Dies beginnt mit den Prognosen für den zukünftigen Stromverbrauch und endet mit der Erwartung, dass man fehlende Eigenproduktion im Ausland einkaufen kann. 

    Ist die «Energiestrategie 2050» überhaupt noch realistisch, oder muss man sie als gescheitert betrachten? Die 2017 beschlossene Energiestrategie 2050 war für mich der Grund, mich ab 2018 nur noch mit der Kernenergie zu beschäftigen. Ein Geschäftsfeld mit solchen Perspektiven und Möglichkeiten einfach beiseitezuschieben, ist mehr als leichtsinnig und kann nur mit fehlenden Fachkenntnissen erklärt werden. Mit der Energiestrategie 2050 hat die Politik vornehmlich definiert, was gemacht werden sollte, aber nicht wer es tun soll. Dies ist heute noch nicht klar und dementsprechend ist es schwierig entsprechende Teilverantwortungen festzulegen. In der heutigen Situation liegt die Hauptverantwortung für die Versorgung des Landes eindeutig beim Bundesrat. Es scheint, dass dieses Gremium sich dies nicht voll bewusst ist. Die ideologische Umstellung von Kernkraft auf Wind und Sonne ist ernsthaft in Frage zu stellen. Ich teile die Meinung von Pionieren der Technik wie Elon Musk, der die vorzeitige Stilllegung bestehender Kernkraftwerke als «complete crazy», als völlig verrückt, bezeichnet.  

    Sie haben mit Ihrer Firma selbst verschiedene Kleinkraftwerke betrieben und dabei auch wirtschaftlich Erfolg gehabt. Worauf kommt es dabei an? Chancen rechtzeitig erkennen und wahrnehmen. Die Haupttriebfeder für uns war die damals geltende Einspeisevergütung für Kleinwasserkraftwerke von 16 Rp/kWh und die generelle Förderung der erneuerbaren Energien. Wir konnten mit unserer damaligen Firma Proma Energie AG innerhalb von 10 Jahren ab 1995 insgesamt 10 Projekte in der Schweiz realisieren (5 Kleinwasserkraftwerke, 2 Solaranlagen, 1 Windanlage, 1 Holzkraftwerk und 1 Kombikraftwerk) und hatten etwa 100 Aktionäre. Die Firma war sehr erfolgreich und wurde mit allen Anlagen 2006 der AXPO verkauft.  

    Sie sind Spezialist für Kernenergie und waren an vielen internationalen KKW-Projekten beteiligt. Im deutschsprachigen Raum ist der Ausstieg aus der Kernenergie geplant. Wie sieht es anderswo in der Welt aus? Der Ausstieg oder die Absicht zum Ausstieg aus der Kernenergie im deutschsprachigen Raum ist sicher bemerkenswert, aber ebenfalls bemerkenswert ist der kürzliche Ausstieg aus dem Ausstieg in Ländern wie Holland, Belgien und Schweden. In Anbetracht der politischen Entwicklungen sehe ich durchaus Chancen, dass es auch in der Schweiz und Deutschland noch ein Umdenken geben könnte. Wir haben deshalb bereits 2018 die neue Beteiligungsfirma Argovia Energie AG gegründet.

    Wie beurteilen Sie die Sicherheit von Kernanlagen? Die Hauptargumente für die Kernenergie sind die Energiedichte (wieviel Kilo Materialaufwand braucht es für die Erzeugung von 1 kWh Strom), die CO2-freie Stromproduktion, die Sicherheit und die wenige Abfälle, die anfallen. Die Energiedichte ist besonders wichtig für ein Land wie die Schweiz mit wenig Platz. Die Kernenergie ist besonders geeignet für Grossstädte, die wenig Platz für die Installation von Solarmodulen und gar keinen Platz für Windanlagen aufweisen. Die Schweiz ist mehr oder weniger auch eine Grossstadt mit Natur­reservaten. Schon die heutigen Kernkraftwerke konnten damals nicht mit den international geforderten «Exclusion Zones» von 20 bis 30 km gebaut werden und deshalb hat man die Schweizer Kernkraftwerke mit grösseren Sicherheitsvorkehrungen ausgerüstet, die das Wohnen am Zaun erlauben. Trotz der bekannten Unfälle wie «Three Mile Island», USA, «Tschernobyl», ehemalige Sowjetunion, und «Fukushima», Japan, ist die Kernenergie die sicherste Art Strom zu erzeugen. Alle wissenschaftlichen Vergleiche mit anderen Stromerzeugungsarten gehen eindeutig zu Gunsten der Kernenergie aus. Wir haben leider bis heute nicht gelernt mit der Strahlung zu leben, obschon sie allgegenwärtig ist, und auch positive Wirkungen aufweist. Die Frage der gefühlten Sicherheit ist eindeutig eine Frage der Kommunikation und der Bildung. Solange die meisten Schullehrer noch Angst von Strahlung haben, wird es schwer werden, die gefühlte Sicherheit zu verbessern. Doch alles Leben auf Erden ist durch Zellmutationen, angeregt durch natürliche Umgebungsstrahlung, entstanden. 

    Ist das Problem der Entsorgung und Lagerung gelöst? Unsere Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) ist die Organisation, welche für die sichere Entsorgung des Atommülls in einem Tiefenlager verantwortlich ist. Der Entsorgungsnachweis für schwach und mittelaktive Abfälle wurde 1988 und für hochaktive Abfälle 2006 erbracht. Das Einzige, was noch fehlt, ist einen Standort für das Tiefenlager. Es stehen 3 Standorte für das Tiefenlager zur Auswahl und man befindet sich momentan in der Entscheidungsfindung für ein Standort. Dass wir ein Entsorgungsproblem mit dem Atommüll haben, wie die Gegner immer behaupten, stimmt also gar nicht, sondern wir befinden uns in der komfortablen Lage, dass wir noch gar keine dringende Entscheidung für das Endlager brauchen, weil die Lager in den Kraftwerken und das bekannte Zwischenlager in Würenlingen (ZWILAG AG) zusammen noch genügend Platz bieten. Dies ist ein Vorteil von Kernkraftwerken, dass sie verhältnismässig wenig Abfall verursachen, am wenigsten im Vergleich zu sonstigen thermischen Kraftwerken. Insgesamt sind es nach heutiger Schätzung und nach mehr als 40-jährigem Betrieb der Kernkraftwerke etwa 80’000 Tonnen Abfall, während in den betreffenden Chemielagern mehr als 2.7 Mio. Tonnen giftige Abfälle lagern.

    Eine entscheidende Frage ist die Wirtschaftlichkeit. Sie haben sich in Ihrer Karriere im Energiesektor immer auch mit Zahlen und Kosten beschäftigt. Die Linken und Grünen sagen, Kernkraftwerke liessen sich nicht wirtschaftlich betreiben. Was antworten Sie? Die Gegner der Kernenergie unternehmen alles Mögliche, um die Kernenergie unwirtschaftlich zu machen. Durch ihre Aktionen und unrealistische Sicherheitsanforderungen haben sie es tatsächlich geschafft, die Kernenergie und damit auch der Stromwirtschaft zu schaden. Die heutigen Sicherheitsanforderungen sind eine grosse Hürde für die Kernkraftwerke und waren massgebend für die Stilllegung des KKW Mühleberg. Diese Anforderungen stehen in keinem Verhältnis zu sonstigen industriellen Sicherheitsanforderungen und haben die Bürokratie in dieser Branche um Faktoren erhöht. Es gibt natürlich auch in der Kernenergiebranche wirtschaftlich bessere und schlechtere Projekte. Die Gegner nehmen immer die schlechteren Projekte als Referenz für die Kernenergie. Sie verschweigen, wie wirtschaftlich es ist, die Lebensdauer der Kraftwerke zu verlängern, wenn die Anlagen weitgehend abgeschrieben sind. 

    Sie machen sich für den Bau und Betrieb von kleinen KKW stark. Wie muss man sich das vorstellen? In Hinblick auf die zunehmende Dezentralisierung der Stromwirtschaft und auch in Hinblick auf die Erfahrungen mit der Miniaturisierung der elektronischen Industrie sind wir der Meinung, dass die Zeit der Grossanlagen wie Gösgen und Leibstadt für kleine Länder wie der Schweiz vorbei ist. Ich betrachte diese Anlagen als gutmütige Dinosaurier der Stromwirtschaft, deren Zeit in 10 bis 20 Jahre abgelaufen sein wird. Die wirtschaftlichen Erfahrungen mit den kürzlich erstellten Grossanlagen (Olkiluoto 3 in Finnland und Flamanville, Frankreich) sind nicht gut und zeigen die Grenzen dieser Anlagen auf. Gleichzeitig findet eine weltweite Entwicklung von Kleinanlagen statt. Es gibt heute weltweit mehr als 50 Start-up-Firmen, welche sich mit der Entwicklung von sogenannten «Small and Medium Reactors» (SMR) beschäftigen. Die kleineren Reaktoren mit einer Leistung von 10 MW können Ortschaften mit 10’000 bis 20’000 Einwohner versorgen und haben die Grösse eines Containers. Mit einer unterirdischen Aufstellung kann man solche Anlagen ohne sichtbare Merkmale jeweils überall hinstellen, wo man will. Eine neue Ladung mit Brennstoff kann in Intervallen von 5 bis 10 Jahre erfolgen. Die Montagearbeiten am Ort der Aufstellung werden auf ein Minimum reduziert. Die Anlagen sind absolut sicher und schalten bei Störungen automatisch ab. Solche Anlagen reduzieren die Diskussionen um die Kernenergie auf lokaler Ebene mit klaren Entscheidungen und Verantwortungen. Sie können in beliebiger Grösse auch von der Industrie eingesetzt werden. 

    Ihnen schwebt eine neue Form der Finanzierung von Kernkraftwerken vor. Neben den grossen Stromkonzernen, die sich im Besitz der öffentlichen Hand befinden, sollen sich auch Private beteiligen. Wie sieht Ihr Modell genau aus? Unsere Vorstellungen über die Finanzierung der Kernenergie beschränken sich   vorerst auf die noch bestehenden Kernkraftwerke in der Schweiz. Die Einbindung der bestehenden KKW in der schweizerischen Stromlandschaft könnte etwa analog der Zusammenlegung des schweizerischen Hochspannungsnetzes in der nationalen Firma Swissgrid erfolgen, d.h. durch eine national übergeordnete Firma für die bestehenden Kernkraftwerke, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Firma nicht von der Öffentlichkeit gehalten, sondern als ein Public Private Partnership (PPP) privatwirtschaftlich organisiert wird. Die PPP-Firma übernimmt nicht nur die Verantwortung für den weiteren Betrieb der bestehenden Anlagen, sondern auch für die allfällige Stilllegung und die Entsorgungskosten. 

    Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie sind 82 Jahre alt und setzen sich   immer noch unermüdlich für Ihre Ideen ein. Woher nehmen Sie die Motivation und die Kraft – oder sagen wir: die Energie dafür? Die Motivation ist sicher das Thema «Energie», das extrem vielfältig und lebenswichtig ist, und die Kraft kommt aus einer positiven Lebenseinstellung nach dem Toyota-Motto «Nichts ist unmöglich».

    Dr. Philipp Gut 


    Zur Person: Nico van Zijl war als Mitarbeiter bei der damaligen Motor Columbus in Baden seit 1969 als Planer, Berater und Projektleiter an vielen KKW-Projekten beteiligt, insbesondere in der Schweiz (Kaiseraugst und Gösgen), aber auch in Finnland (Olkiluoto), Dänemark, Holland, Luxemburg, Deutschland, Portugal, Jugoslawien (Krisko), Türkei (Akkuyu) und Ägypten (El Dabaa). Schon bei bei seinem früheren Arbeitgeber BBC war das Hauptaugenmerk die Kernenergie. Später betrieb van Zijl mit seiner Beteiligungsgesellschaft verschiedene Kraftwerke.

    www.argovia-energie.ch

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